Waldorf-Pädagogik

Grundlegende Ideen der Waldorf-Pädagogik gehen auf den Naturwissenschaftler und Philosophen Rudolf Steiner zurück. Eine Verteilung der Kinder auf verschiedene Schulformen gab es an der Waldorfschule nicht. Die Kinder wurden (und werden an allen Waldorfschulen bis heute) einheitlich unterrichtet. Rudolf Steiners Anthroposophie ist unter anderem eine Kritik an der Wissenschaftspraxis und ihrer Aufsplitterung in unterschiedliche Fachdisziplinen, die sich alle einzeln für sich einbilden würden, mit ihrer Forschung das menschliche Wesen ergründen zu können.6 Er setzt dem den Weg einer übersinnlichen Erkenntnis entgegen, der durch Vorstellungen von Karma und Reinkarnation charakterisiert wird. Dabei versteht sich die Waldorfpädagogik als eine Pädagogik, die sich nicht an staatlichen Rahmenrichtlinien für den Unterricht oder an schulischen Anforderungen seitens der Wirtschaft orientiert, sondern einzig an den Gesetzen der kindlichen Entwicklung. Nach Steiner bedingen sich körperliche und geistige Entwicklung. Die körperliche Tätigkeit wird in den unteren Klassenstufen betont, mit zunehmendem Lebensalter werden geistige Tätigkeiten zum Schwerpunkt. Waldorfschüler werden in der Regel über acht Jahre hindurch von einem festen Lehrer begleitet, der sie durch den Hauptunterricht führt. Er könne die Schüler so in ihrer Individualität besonders gut kennen- und beurteilen lernen. Zur Einschätzung der Schüler dient dem Lehrer u.a. die von Steiner aufgegriffene Lehre der Temperamente, die zwischen Choleriker, Melancholiker, Phlegmatiker und Sanguiniker unterscheidet.

Eine wesentliche pädagogische Innovation der Waldorfschulenstellte der systematische Einsatz der von den Landerziehungsheimen entwickelten Methode des Epochenunterrichts dar, die inzwischen viele Nachahmer und somit weite Verbreitung gefunden hat. Kerngedanke ist, dass sich die Schüler über einen bestimmten Zeitraum einen bestimmten Teil jedes Schultages einem Ober-Thema widmen, dem von verschiedenen Fächern Beiträge zugeordnet sind. Fachgrenzen zerfließen, isolierter Fachunterricht wird ersetzt durch themengebundene Arbeit, bei der verschiedene Fachdisziplinen ihre Perspektiven und Fragestellungen einbringen. Die Schüler erstellen dabei ein Epochenheft, in dem sie das Thema aus ihrer eigenen Sichtweise dokumentieren.

Der künstlerische Zugang als zentrales Element in der Waldorfpädagogik fördert entscheidend die Kreativität und die Kultivierung der Phantasie. Entsprechend wichtig ist der künstlerisch-handwerkliche Unterricht, der die Schüler durch die gesamte Schulzeit begleitet. Mit zunehmender Nähe zum Abschlussjahr steigt der Anteil von fachwissenschaftlich orientiertem Unterricht.

Die Waldorfschule schließt mit dem Besuch des 12. Schuljahres ab. Aufgrund der Kompromisse, die aber auch eine Bildungseinrichtung wie die Waldorfschule mit ihrer Stellung im Berechtigungssystem eingehen muss, können an Waldorfschulen alle gängigen Schulabschlüsse erworben werden, das Abitur nach einem zusätzlichen 13. Schuljahr. Allerdings können Waldorfschüler mittlere Abschlüsse gegebenenfalls erst später als an Regelschulen erwerben, was von einer betroffenen Waldorfschule damit begründet wird, dass „unabhängig vom angestrebten staatlichen Schulabschluss eine 12-jährige Schulzeit für die Erreichung der pädagogischen Ziele einer Waldorfschule unverzichtbar ist“.

Die Waldorf-Pädagogik verzichtet weitgehend auf Noten und setzt stattdessen auf individuelle schriftliche Zeugnisse. Sitzenbleiben als pädagogisches Prinzip ist folglich ausgeschlossen, in einigen Waldorfschulen können Schüler auf Wunsch der Eltern und Lehrer zurückgestuft werden. Die Waldorf-Pädagogik ist mittlerweile in den unterschiedlichsten Kulturen verbreitet. Aktuell gibt es bereits deutlich mehr als 900 Waldorfschulen weltweit, davon fast 200 in Deutschland – Tendenz steigend. Hinzu kommen weltweit etwa 1.500 Kindergärten.10 Jede Waldorfeinrichtung arbeitet eigenständig, entsprechend sind lokale und regionale Verschiedenheiten der Regelfall. Durch die enge regionale, nationale und internationale Organisation in Verbänden ist die inhaltliche Gemeinsamkeit zwischen den verschiedenen Einrichtungen zumeist jedoch hoch.

Rudolf Steiner und die Waldorfpädagogik standen und stehen in der öffentlichen Diskussion. Für viele Deutsche ist sie der Inbegriff der „Kuschelpädagogik“, besonders häufig für diejenigen, die noch nie eine Waldorfschule von innen gesehen haben. Dies lohnt sich, denn insbesondere hinsichtlich der handwerklichen und der künstlerischen Förderung sehen wir die Waldorfpädagogik als Vorreiter.

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